Europa im Erdölrausch · Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit by Ganser Daniele
Autor:Ganser, Daniele [Ganser, Daniele]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch-Finanzen
ISBN: 9783280054741
Herausgeber: Orell Füssli Verlag
veröffentlicht: 2012-05-15T00:00:00+00:00
In der Schweiz steigt das Misstrauen gegenüber Erdölkonzernen
Kurz vor Ausbruch der Revolution im Iran, am 17. Dezember 1978, hatte die OPEC an ihrer Ministerkonferenz in Abu Dhabi beschlossen, den Ölpreis im Jahr 1979 in vier Stufen um 14 Prozent auf 14 Dollar pro Fass zu erhöhen. Die Wirren im Iran führten dann aber zu einem viel stärkeren Anstieg des Preises, der im Jahr 1979 den neuen Rekord von zuvor unvorstellbaren 34 Dollar pro Fass erreichte.
Die Industrieländer fürchteten sich nach dem Sturz des Schahs vor hohen Preisen und Lieferschwierigkeiten. Georg Stucki, der Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung, beruhigte die Konsumenten und erklärte, der Unterbruch der Lieferungen aus dem Iran werde zu keinem Versorgungsengpass führen, weil man auf andere Länder ausweichen könne. »Alles ist verhangen wie eine Lismete«, erklärte Stucki bildstark, »und wenn ein Faden reißen sollte, so ist damit noch lange nicht das Neugestrickte verloren.«11 Die Versorgung der Schweiz mit Erdöl sei »mengenmäßig kein Problem«.12
Aber die Preise stiegen an. Für den Liter Heizöl musste neu 50 Rappen bezahlt werden, und das Benzin durchbrach erstmals die »Schallmauer« von 1 Franken pro Liter und kostete im Februar 1979 an der Schweizer Tankstelle 108 Rappen. Die Konsumenten waren von den erhöhten Preisen für Brenn- und Treibstoffe völlig unbeeindruckt, denn Erdölprodukte waren weiterhin vergleichsweise billig. »Als ob die Schweizer Konsumenten heikel wären!«, kommentierte die Zeitung »Touring«. »Sie haben ohne Murren die Reizschwelle von einem Franken pro Liter hingenommen, welche die [Erdöl-]Gesellschaften lange Zeit als kritische Grenze betrachteten.«13 Der Energiekonsum nahm weiter zu. »Hand aufs Herz, haben Sie Ihre ganz persönliche Konsequenz vor dem Hintergrund ständig steigender Benzin- und Heizölpreise schon gezogen?«, fragte die Presse. »Bleibt bei Ihnen das Auto übers Wochenende in der Garage? Benutzen Sie stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel? Oder: Steht Ihr Raumthermostat statt auf 24 jetzt auf 20 Grad Celsius?« Die Antwort auf all diese Fragen sei ein klares »Nein« und das Fazit klar: »Energie ist anscheinend für uns immer noch zu billig.«14
Erdölproduzenten wie Kuwait erklärten, dass der höhere Erdölpreis gerechtfertigt sei. Die Argumente der Exportländer waren einleuchtend. Erdöl werde in Dollar gehandelt, und seit der Abschaffung der Golddeckung durch Nixon habe dieser stetig an Wert verloren, auch gegenüber dem Franken. Noch im Oktober 1973 hatte man 3 Franken für einen Dollar bezahlen müssen, im Januar 1979 kostete 1 Dollar nur noch 1.60 Franken. »Wissen Sie auch, dass die Dollars, die wir 1974 für unser Erdöl erhalten und nicht ausgegeben haben, mittlerweile 45 Prozent ihres Wertes eingebüßt haben?«, versuchte Abdulrahman Salim Al-Ateeqy, der Finanzminister von Kuwait, die Sorgen der Golfländer zu erklären. »Unter Berücksichtigung der Geldentwertung kostet heute ein Fass Erdöl weniger als vor 5 Jahren!« Diesen Dollarzerfall könne die OPEC nicht einfach hinnehmen, und daher sei es »ganz natürlich, dass wir alles unternehmen, um den Wert, d. h. die Kaufkraft, unserer Bodenschätze zu erhalten. Schließlich erhält man nirgends etwas ohne Gegenleistung; weshalb also sollten gerade wir unser Erdöl verschenken?«15
Dass es während der zweiten Erdölkrise nicht zu Versorgungsengpässen kam und dass der Preisanstieg zwar beachtlich, aber doch innerhalb gewisser Schranken blieb, war in erster Linie Saudi-Arabien zu verdanken.
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